Warum tummeln sich im Internet so viele Line 6 HD Jünger, die das Boss GT-100 als asiatischen Schrott verdammen ?
Dieses Boss Gerät ist das Ergebnis hoher Ingenieurskunst und klingt kraftvoll dynamisch und für diesen Preis absolut professionell. Für Anwendungen mit superextremer Verzerrung der verfügbaren Preamps, ist es vielleicht nicht unbedingt geeignet, aber man darf nicht vergessen daß hier alle Sounds nur errechnet werden. Wer bevorzugt auf so was steht, sollte sich vielleicht einen echten Verstärker kaufen und den an die Grenze treiben.
Mit dem Gain der Preamps nicht ganz so weit aufgerissen, und einer zusätzlichen Verzerrung mittels vorgeschaltetem virtuellen, oder echtem Overdrivepedal, lassen sich auch hier ordentlich fette Bretter mit ausreichend Dynamikreserve nach oben herausholen. Wie gut die Qualität der Emulation der verfügbaren Amps ist, bemerkt man aber am schönsten im Grenzbereich beim Übergang von Clean auf Verzerrt, da flattert nix, schön fließend, da kommt Freude auf ;-)
Die Effekte des GT-100 sind ebenfalls erste Sahne, fein dosierbar und beliebig in der Signalkette platzierbar.
Gebaut ist das Teil wie ein Panzer und die Bedienung nach kurzer Einarbeitung verblüffend einfach.
Ich denke, in dieser Preisklasse macht man mit diesem Gerät nichts falsch, auch wenn es nicht in den USA entwickelt wurde, aber ich spiele auch lieber meine Ibanez RG2550 oder RG440, als die Gibson SG, denn letztere verstimmt sich nach 30 Jahren immer noch wie am ersten Tag ;-)
Nachtrag: Ich habe jetzt das Line6 POD HD500 im direkten Vergleich zum GT-100 getestet.
Meine Eindrücke:
Die Line6 Presets beinhalten mehr effekthascherischen Firlefanz als brauchbare Grundsounds, beim GT-100 lassen sich zumindest viele Presets als vernünftige Basis für eigene Patches heranziehen. Mit der Easytone Funktion lassen sich beim GT-100 ausserdem schnell, nach verschiedenen Musikstilen sortierte Patches erstellen, ohne dass man das Gerät erst ausführlich studieren muß. Das ist doch immerhin so eine Art Visitenkarte beim ersten Antesten, oder ?
Vergleich mit ausschließlich Preamps in der Signalkette, sonst nix - Outputeinstellungen bei beiden Geräten auf Combo eingestellt:
Beim Abschalten der Speakersimulation und direkten Einspielen in einen Gitarrenamp erscheint mir die Verzerrung der E-A-D Saiten beim Line6 stellenweise etwas untransparent bis schwammig und klingt eher nach Fuzz-Distortion, besonders bei den Combo Modellen wie z.B. Tweed. Das GT100 klingt hier wesentlich differenzierter mit schönen Clean-Crunch Übergängen.
Man sagt, der Line6 klänge voller und organischer, ich habe aber den Eindruck, als wäre in den Preamps ein Compressor reingemogelt und ein Teil vom Originalsignal der Gitarre mit reingemischt. Beim GT-100 klingt z.B. der modellierte VOX ähnlich wie mein echter VOX und der emulierte Higain-Stack ähnlich wie mein echter Rivera M100 Head. Wenn ich beim GT-100 einen leichten Compressor in Reihe und einen cleanen, zusätzlich parallelen B-Preamp im Patch reinprogrammiere, komme ich dem Line6 Sound schon näher - aber will ich das in jedem Fall ?
Programmierung:
Das Line6 bietet eine eigene PC Editiersoftware an - das braucht es auch ;-)
Das Gehüpfe durch die Menüs, wenn gerade kein PC zur Hand ist und das Minidisplay sind für eine schnelle Änderung des Patches, z.B. während der Band-Probe, nicht gerade von Vorteil. Hier ist das GT-100 eindeutig überlegen, schneller Zugriff auf fast alle wichtigen Parameter und intuitive Programmführung ohne ausartendes Menühopping, und das schön dargestellt auf 2 recht großen aber schlichten Displays.
Das Line6 POD HD500 ist durchaus ein gutes Gerät, aber ich verstehe den Hype um dieses Teil nicht - das Boss GT-100 kann hier locker mithalten und Line6 kocht auch nur mit Wasser ;-)
Ich bleibe jedenfalls beim GT100, aber Sound ist eben Geschmackssache.